Schicksal und Wirken von vier Frauen

Vorbemerkung

Im Laufe der Jahrhunderte haben zahlreiche Frauen in der historischen Stadt Teltow gelebt und ihre ganz eigenen Geschichten hinterlassen. Hier sind vier Frauenschicksale aus vier verschiedenen Jahrhunderten:
Der erste Bericht über das Schicksal der Eleonora von Stockheim, einst Ritterfräulein auf Gut Ruhlsdorf bei Teltow, wirft einen düsteren Schatten auf die moralischen und sozialen Gegebenheiten des 17. Jahrhunderts. Sie kann als Opfer dieser Zeit dargestellt werden, in der gesellschaftliche Erwartungen und moralische Zwänge Frauen zu tragischen Entscheidungen trieben. Ihre Geschichte ruft dazu auf, die Herausforderungen und das Leid von Frauen in vergangenen Epochen zu verstehen und zu reflektieren, wie sich die Rolle der Frau im Laufe der Geschichte verändert hat.
Die zweite Geschichte der Witwe Fleischer in der Ackerbürgerstadt Teltow zeigt, wie die Rolle der Frau auch im 18. Jahrhundert durch strenge Normen definiert war. Nach dem Tod ihres Mannes waren Witwen keineswegs versorgt. Es war nicht üblich, dass sie z. B. Handwerksbetriebe allein führten und dazu Meister und Gesellen einstellten. Die Gesellschaft erwartete von ihnen, sich erneut zu vermählen, um finanzielle Sicherheit zu gewährleisten. Dabei bestand dabei stets die Gefahr, dass die männlichen Erben des verstorbenen Ehemannes die Witwen aus ihrem eigenen Haus vertrieben.
Eine ganz andere Wendung nimmt die Geschichte der Witwe Julie Gräbert, geborene Pickenbach in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dem jährlichen aufgeschlagenen Manöverlager des preußischen Militärs am Teltower See ist es zu verdanken, dass Julie zur Berühmtheit wurde. Als erste Theaterchefin Berlins – bekannt als „Mutter Gräbert“ – gab sie nicht nur zu Lebzeiten Anlass für Anekdoten und Legenden, sondern ging als Original in die Geschichte der Stadt ein.
Im letzten Beitrag tauchen wir ein in die bewegende Lebensgeschichte von Brigitta Much, einer bemerkenswerten Frau, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte. Aufgewachsen in einer Siedlung für kinderreiche katholische Familien in Teltow, zeichnete sich Brigitta durch ihren unerschütterlichen Mut und ihre Entschlossenheit aus, selbst in den dunkelsten Zeiten Hoffnung und Menschlichkeit zu bewahren.
Ihre Erinnerungen bieten uns einen tiefen Einblick in die Herausforderungen, Ängste und Entbehrungen, mit denen die Menschen während des Krieges konfrontiert waren. Sie erinnern uns daran, dass hinter den großen historischen Ereignissen immer individuelle Schicksale stehen, die von Mut, Entschlossenheit und dem Streben nach einem besseren Leben geprägt sind. Brigitta Muchs Geschichte ist ein lebendiges Zeugnis für die menschliche Resilienz und den unbändigen Willen, selbst in den schwierigsten Zeiten die Hoffnung nicht zu verlieren.
In einer von patriarchalen Strukturen geprägten Gesellschaft mussten Frauen über die Jahrhunderte hinweg kämpfen, um sich in einer von Männern dominierten Welt zu behaupten. Diese vier Frauenschicksale aus verschiedenen Jahrhunderten zeigen, wie Frauen sich für gesellschaftliche Anerkennung, rechtliche Gleichstellung und individuelle Freiheit einsetzten.
Mein Dank gilt Annette Gläsel für die Inspiration.

Sibylle Langner, Vorsitzende des Heimatvereins Teltow e. V.

Wappen der Familie von Stockheim
Die Geschichte von Eleonora Sophia von Stockheim, geboren um 1652 in Berlin, ist ein bewegendes Zeugnis einer Frau, die unter den rigiden moralischen Zwängen und gesellschaftlichen Stellung ihrer Zeit litt. Ihr Vater, Georg Ernst von Stockheim, war Obristlieutenant unter dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und der erste Besitzer des Ritterguts auf Ruhlsdorf, ihre Mutter war eine geborene von Britzke. Auf dem Rittergut in Ruhlsdorf aufgewachsen, erlangte Eleonora als Ritterfräulein nicht nur Wohlstand, sondern auch die Liebe und Anerkennung der Gemeinschaft.
Die Kirchenbücher zeugen ab 1665 von Eleonoras sozialem Engagement durch zahlreiche Patenschaften im Dorf. Auffallend dabei ist die große Anzahl ihrer Patenschaften und besonders, dass sie häufig bei den Untertanen vom Gutshof, selbst bei einem Hirten, eingenommen wurden. Ein halbes Jahrhundert später kamen derartige adlige Patenschaften bei dem Gesinde überhaupt nicht mehr vor, es war unter der Würde dieses Standes. Doch im Herbst 1673 hören diese plötzlich Einträge auf.
Wappen der Familie von Hake (Mark)

Am 7. Dezember 1673 wurde die Jungfer von Stockheim standesgemäß mit Gottfried von Hake, Rittmeister auf Genshagen, verheiratet und lebte fortan dort. Eine Liebesheirat war es sicher nicht, denn ihr Gemahl war mit 56 Jahren mehr als doppelt so alt wie sie. Für ihn war es bereits der dritte Ehebund, seine zweite Frau war im Dezember 1672 dem Kindbettfieber erlegen. Aus den beiden vorangegangenen ehelichen Bindungen kamen acht Kinder (zwei Söhne und sechs Töchter) mit in die neue Familie. Eleonora schenkte ihm zwei weitere Kinder, beides Mädchen.

Nach vier Jahren Ehe starb Gottfried von Hake und für Eleonora begann eine Reihe von Tragödien. Als junge Frau verlor sie nicht nur ihren Gatten, sondern auch ihre beiden Töchter. Der Gutshof in Genshagen wurde nun zu keiner guten und dauerhaften Bleibe für Eleonora Rittmeisterin von Hake, da sich unter ihren Stiefkindern zwei männliche und damit rechtmäßige Erben befanden. So musste sie zurück in den Ort ihrer Kindheit ziehen, um auf dem väterlichen Gut und in der Ruhlsdorfer Gemeinde Trost in ihrem nun einsamen und zerstörten Leben zu finden. Sie tritt ab 1681 sodann wieder als Taufpatin in Erscheinung.
Im Sommer 1683 trat ein weiterer Wendepunkt in Eleonoras Leben ein. Der Edelmann Christian von Röbel, vermutlich aus Hohenschönhausen, begegnete der jungen Witwe auf dem Rittergut in Ruhlsdorf. Von Eleonoras trauriger Schönheit angezogen, begann der verheiratete Ritter kurzzeitig eine Affäre mit ihr. Die Begegnung endete in einer ungewollten Schwangerschaft, die Eleonora geheim hielt.

Zeichnung: Frauke Schmidt-Theilig in „Märchen- und sagenhafte Geschichten rund um Teltow

Am 4. Februar 1684 brachte Eleonora ein Kind aus dieser geheimen Verbindung zur Welt und tötete das Neugeborene wohl in einem Akt von Verzweiflung und Scham indem sie es im Stall den Schweinen überließ. Die Magd, die Zeugin dieser tragischen Tat wurde, meldete die Handlungen, was zu Eleonoras Verhaftung führte.
Der Prozess gegen die Witwe von Hake endete mit einem grausamen Urteil: öffentliche Hinrichtung. Am 19. August 1684 wurde sie vor dem Rathaus in Berlin mit dem Schwert hingerichtet.
Eleonora fand ihre letzte Ruhestätte gemäß den Aufzeichnungen des Ruhlsdorfer Kirchenbuchs auf dem Kirchhof in Ruhlsdorf, an einem Ort, der bis heute unbekannt bleibt. In den Annalen der adligen Familie von Hake wird das tragische Ende von Eleonora Sophia von Hake, geborene von Stockheim, nicht erwähnt. Es wäre für den vornehmen märkischen Adelsstamm zweifellos ein Makel gewesen.

Ihr tragisches Schicksal wirft einen düsteren Schatten auf die moralischen und sozialen Gegebenheiten des 17. Jahrhunderts. Eleonora von Stockheim wird als Opfer einer Zeit dargestellt, in der gesellschaftliche Erwartungen und moralische Zwänge Frauen zu tragischen Entscheidungen trieben. Ihre Geschichte ruft dazu auf, die Herausforderungen und das Leid von Frauen in vergangenen Epochen zu verstehen und zu reflektieren, wie sich die Rolle der Frau im Laufe der Geschichte verändert hat.
Während Frauen mit unehelichen Kindern im letzten Jahrhundert noch stark stigmatisiert, diskriminiert und benachteiligt wurden, erfahren Alleinerziehende in Deutschland heute Unterstützung durch rechtliche, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen.

Wappen derer von Hake (Mark), Quelle: Wikipedia

Im Jahr 1745 sucht die junge Witwe Catharina Altmann aus Teltow einen neuen Ehemann und Meister, der die Stellmacherei ihres verstorbenen Ehemanns weiterführen soll, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Für den Stell- und Rademacher Johann Jacob Fleischer eine gute Gelegenheit, nicht nur die Werkstatt, sondern auch und das herrenlose Gärtnergut Nr. 29 zu übernehmen, ein schönes Anwesen im westlichen Teil der Ritterstraße in Teltow, unweit des Schönower Sees.
In den folgenden Jahren bringt das Paar vier Kinder (zwei Jungen und zwei Mädchen) zur Welt, doch die Ehe ist von Streit und Schulden geprägt. Die beiden Töchter sterben und vor Kummer und Leid stirbt schließlich auch Catharina im Oktober 1763.
In der Notwendigkeit seinen Haushalt weiterzuführen, heiratet Jacob schnell wieder. Anna Sophia Ribbecke, die unverheiratete Stiefschwester seiner ersten Frau, wurde seine zweite Ehefrau. Sie wird die Mutter seines einzigen weiteren Kindes, einer Tochter namens Anna Dorothea.
Doch auch sie leiden unter der Herrschaft des Jacob Fleischer. Ab 1770 überschlagen sich dann die Ereignisse. Völlig unerwartet „geht“ Jacob Fleischer am 14. Februar 1770„ins Wasser“, er wird tot im Schönower See gefunden.
Sophia erbt das Anwesen. Ihre Mutter, Anna Ribbecke, wohnhaft in Gütergotz, reist darauf hin nach Teltow. Es bleibt ungeklärt, ob sie ihre Tochter dazu drängt, erneut zu heiraten, wie es gesellschaftlich von ihr erwartet würde. Sie stirbt am 18. Februar 1770 am Ufer des Schönower Sees unter mysteriösen Umständen.
Sophia nimmt die ungewöhnliche Herausforderung an, einen Handwerksbetrieb eigenständig zu führen und stellt den Gesellen Gottfried Tiencke ein. Der jedoch verbreitet bereits überall, der „Verlobte“ zu sein und erhebt die Ansprüche eines Hausherrn. Nach den Aufzeichnungen ist der „Verlobte“ der Witwe im Februar 1772 in einem Anfall von Wahn in den offenen Brunnen im Garten des Grundstücks der Familie Fleischer gesprungen und darin zu Tode gekommen.

Inwieweit auch die beiden Stiefsöhne einen Erbteil forderten, ist nicht belegt. Beide sterben noch im gleichen Monat am Fleckfieber. Anna Sophia Fleischer heiratet erst 1776 wieder. Auch dieses Mal einen Stell- und Rademacher, den mehr als 20 Jahre jüngeren Samuel Rüster. Mit ihm hat sie bereits ein Jahr vor der Trauung ein uneheliches Kind gezeugt. Es folgen zwei weitere, nunmehr eheliche Kinder. Sophia erlebt weitere 50 Jahre Glück, bevor sie im hohen Alter von 82 Jahren im Januar 1821 in Teltow stirbt. Ihre Geschichte zeigt, dass trotz moralischer Zwänge und gesellschaftlicher Beschränkungen Frauen auch unter schwierigen Umständen ihren Weg finden können. Auch die Geschichte der Handwerkerwitwe Anna Sophia Fleischer in Teltow ist ein Spiegelbild der rigiden gesellschaftlichen Beschränkungen, die Frauen in dieser Zeit erfuhren. Witwen standen vor der Wahl zwischen erneuter Heirat und der Gefahr, von den männlichen Erben ihres eigenen Hauses vertrieben zu werden, während der Gedanke an eine eigenständige Führung eines Handwerksbetriebs als unkonventionell und unüblich galt.
Zeichnung: Frauke Schmidt-Theilig in „Märchen- und sagenhafte Geschichten rund um Teltow“

Friederica Ludovica Juliane (Julie) Pickenbach wurde als erste Tochter des Köpenicker Polizei-Bürgermeisters Johann Ludwig Christian Pickenbach am 26.04.1803 in Berlin geboren. Sie war 17 Jahre alt, als ihr Vater das Ackerbürgergut in der Ritterstraße (heutige Nr. 33) erwarb und sie zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder Friedrich (Fritz) Wilhelm Alexander Pickenbach nach Teltow zog. Fritz wurde Gastwirt und führte den Gasthof „Zum Schwarzen Adler“ am Markplatz von Teltow. Julie verlebte ihre Jugendjahre im elterlichen Hause mit Ausnahme eines Jahres, welche sie zur weiteren Ausbildung in der größeren Wirtschaft bei ihrer Tante in Schöneberg bei Berlin verbrachte.
Im Herbst 1837 wurde wieder ein Manöverlager im märkischen Sand rund um den Teltower See aufgeschlagen. Für etwa einen Monat übte hier ein ganzes Regiment bestehend aus Bürgern und Bauern von Berlin und der Umgegend.

Aquarell um 1830, Sammlung Stadtmuseum Berlin

Neben Handwerksburschen und Bauerknechten exerziert mit der Muskete der Künstler, Kaufmann oder auch der Beamte, für wenige Wochen herrscht völlige Gleichheit. Dieses Schauspiel lockt tausende von Zuschauern an und mit ihnen Händler und Fahrende, Künstler und Musiker, die Waren und Dienste feilbieten.
Zu diesem Ereignis baute der Berliner Wilhelm Ludwig (Louis) Gräbert (geb. 1811) sein Theater auf dem Kornboden im Gasthof des Fritz Pickenbach auf, um für das Militär zur abendlichen Belustigung aufzuspielen. Julie führte ihrem Bruder während dieser Zeit die Wirtschaft und lernte so den „Theaterdirektor“ Louis kennen.
Noch im gleichen Jahr heirateten sie in Teltow und gingen nach Berlin, wo sie einige Jahre in der Wirtschaft seines Vaters arbeiteten. Julie führte die Schenke und Louis sorgte für die Unterhaltung, sang mit seiner Theatertruppe komische Lieder und trug possenhafte Gedichte vor, die Konzession eines ordentlichen Theaters blieb ihnen jedoch verwehrt.

Julie Gräbert (1843) und Louis Gräbert (1843)

1840 konnten sie – mit finanzieller Unterstützung von Julies Mutter aus Teltow – Wollanks Weinberg Nr. 10 (heute: Zehdenicker Str.), ein Gutsgelände der Familie Wollank vor dem Rosenthaler Tor, käuflich erwerben und betrieben dort eine Gastwirtschaft mit dem Vereinstheater Lätitia. Zwischen den beiden herrschte ein patriarchalisch-ökonomisches Verhältnis; Julie Gräbert sorgte für die Küche und Louis Gräbert für das Weißbier und die Bühne. Sie hatten Erfolg und Gräberts Truppe mauserte sich zur Berufsschauspielgruppe.
1848 erhielt Gräbert endlich eine offizielle Theaterkonzession als privater Theaterunternehmer. Als Premiere des neuen Vorstädtischen Theaters am Weinbergsweg beraumte Gräbert Schillers „Jungfrau von Orleans« an. Doch da kam seine Frau dazwischen. Zu der geplanten Besetzung der „Jungfrau“ durch Carla Kaiser erklärte sie:

Ölgemälde, Titel: „Mdm. Julya Graebert, Berlin 1843“

“Wat, unsere Carla soll die Jungfrau spielen? Nee, nee, dit jeht nu nich. Det gloobt ihr keener. Wenn die als Jungfrau auftritt, denn lachen se se aus!“
Alle Einwendungen konnten ihren Instinkt nicht erschüttern. „Nee, sag ick, det jeht nich, ick kenn doch mein Publikum. Schreib meintswejen: Det Mädchen von Orleanz, aber die Kaisar als Jungfrau is nich“.
Ihr Mann fügte sich, feierte damit einen großen Erfolg und starb kurz danach.
Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes 1954 erbt die Witwe Julie Gräbert und führt als erste Berliner Theaterdirektorin die Vorstadtbühne unter dem Namen “Germania-Theater” samt Restaurantbetrieb weiter. Während sie die künstlerische Leitung kompetenten Leuten überließ, betrieb sie den Ausschank in eigener Regie.

Um den Umsatz zu steigern, achtete sie darauf, dass das in den Pausen angebotene Weißbier und die vorbereiteten Schinken- und Schmalzstullen verkauft worden waren, bevor das Theater weiterging. Dadurch konnten sich die Vorstellungen ziemlich in die Länge ziehen. Mit der couragierten Art, wie sie mit ihren Gästen umging und für den geschäftlichen Erfolg sorgte, machte sich Julie „Mutter“ Gräbert einen Namen als ein beliebtes Berliner Original.

In einem Nachruf wurde sie wie folgt beschrieben:

„Der Ruhm von Mutter Gräbert fing an, denjenigen des Vaters Gräbert zu verdunkeln. Eine rüstige Matrone mit aufgeschürzten Ärmeln und hochrotem Gesicht, gleich vornan in der ersten Stube hinter dem Schanktisch, in der ernsten Ausübung ihrer dreifachen Pflicht begriffen – in die Küche hinunter kommandierend, die Kellner kontrollierend und nur dann und wann einmal verschwindend, um auf der Bühne Ordnung zu machen. Wo noch nicht mehr als vier oder fünf Theaterzettel an den Anschlagssäulen erschienen und der schönste von allen der der Mutter Gräbert auf dunkelrotem Papier. Gespielt ward in ihrem Theater wöchentlich nur viermal, und es mußte schon hochkommen, wenn es ein Stück bei ihr über zwei oder drei Vorstellungen hinausbringen wollte. Denn die Bewohner von „Wollanks Weinberg“ verlangten beständig Novitäten; sie gingen jede Woche viermal ins Theater, und viermal jede Woche wollten sie ein

Fotografie der Mutter Gräbert um 1850, Privatbesitz Gert Lehnhardt


neues Stück sehen. Dieses anspruchsvolle Publikum war kein geringes:
Es waren die reichgewordenen Schenkwirte, Bierbrauer, Schlächtermeister und Professionisten überhaupt, die sich hier auf dieser gesunden und luftigen Höhe zur Ruhe gesetzt hatten, mit behäbigen Frauen und gebildeten Töchtern, die mit Passion ihre »Mühlbach« lasen. Diese Leute – deren Nachkommen jetzt Gott weiß in welcher »feinen Gegend« des Westens von Berlin wohnen, Equipagen halten, Diners geben und das Opernhaus besuchen – betrachteten das Vorstädtische Theater als ihr Theater, und Mutter Gräbert war die Frau, die ihr Jahrhundert verstand – die echte Theaterprinzipalin; man wird ihresgleichen nicht wiedersehen!“

Julie Gräbert starb am 18. Januar 1870 als vermögende Frau. Sie wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem St. Elisabeth-Friedhof in der Ackerstraße neben ihrem Mann beigesetzt.
Im 19. Jahrhundert, zu einer Zeit, als Frauen noch klassischerweise auf traditionelle Rollen als Ehefrauen und Mütter festgelegt wurden und außerhalb des Hauses nicht aktiv wurden, übernimmt eine Witwe aus Teltow das Gewerbe ihres Mannes selbständig und beweist sich als resolute Geschäftsfrau. Julie Gräbert unterwarf sich nicht den konventionellen Erwartungen, sich nach dem Tod ihres Mannes auf äußerliche Anerkennung oder gesellschaftlichen Status zu konzentrieren. In einer Welt, die von männlichen Figuren dominiert wurde, war sie in der Lage, sich selbständig zu behaupten und erfolgreich zu sein, ohne sich den typischen Geschlechterrollen anzupassen.

Im Jahr 1936 erschien in der Zeitschrift “Kladderadatsch” eine knappe Beschreibung der “Mutter Gräbert”, die sie wie folgt charakterisierte: “Sie spekulierte nicht auf Orden, hat für Reklame nichts getan, ist auch nicht Kommissionsrat geworden, mit einem Wort – sie war – ein Mann!” Diese Aussage spiegelte die außergewöhnliche Persönlichkeit von Mutter Gräbert wider, die sich durch ihre Unabhängigkeit und ihren unternehmerischen Geist auszeichnete. Ihr Einfluss auf das Berliner Theaterleben war so bedeutend, dass sie zu einer Legende wurde, die weit über die Grenzen ihres eigenen Zeitalters hinausreichte.

Ein künstlerisches Denkmal setzte ihr der bekannte Autor Curt Flatow mit dem Stück “Mutter Gräbert macht Theater”, das im Jahr 2002 im Theater am Kurfürstendamm uraufgeführt wurde, und in dem die Hauptrolle von Edith Hancke verkörpert wurde.
Obwohl in Deutschland heute rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern besteht, dauert der Kampf gegen das Bild von traditionellen Geschlechterrollen weiterhin an. Mutter Gräberts Geschichte und ihre Errungenschaften erinnern daran, dass Frauen schon lange vor der rechtlichen Gleichstellung bedeutende und einflussreiche Rollen in der Gesellschaft spielten, und sie dienen als Inspiration für die fortwährende Arbeit an der Förderung der Gleichberechtigung und des Respekts für alle Geschlechter.

Brigitta Much, geboren am 19. Januar 1926, erlebte als junges Mädchen die Schrecken des Zweiten Weltkriegs in Teltow auf eine Weise, die ihr Leben für immer prägen sollte. Erst gut 50 Jahre später schrieb sie ihre Geschichte auf. In einer liebevollen katholischen Familie aufgewachsen, war Brigitta überrascht und bestürzt, als sie mit den ersten Anzeichen von Diskriminierung und Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung konfrontiert wurde. Die Pogromnacht und die demütigende Pflicht, den Davidstern tragen zu müssen, ließen sie die Dunkelheit des Menschen erfahren.

Werbeplakat: Rotkreuz-Einsatz als patriotische Pflicht: Mit diesem Plakat wirbt der Schwesternverband junge Frauen für die Ausbildung zur Hilfsschwester oder DRK-Helferin.

Als Zwangsarbeiter im Wäldchen am Rande ihrer Siedlung in Teltow Luftschutzgräben ausheben mussten, wurde ihr die Realität des Krieges noch deutlicher vor Augen geführt. Doch trotz dieser entsetzlichen Umstände ließ sich Brigitta Much nicht entmutigen. Mit gerade einmal 16 Jahren meldete sie sich zur Ausbildung als DRK-Schwesternhelferin an, bereit, anderen inmitten des Chaos beizustehen.
Während Fliegeralarmen suchte sie Schutz in den von KZ-Häftlingen gebauten Luftschutzgräben, bevor sie zur DRK-Einsatzstelle eilte, um Verletzte zu bergen und Erste Hilfe zu leisten. Es war ein Leben im ständigen Einsatz, selbst an Wochenenden und in den dunkelsten Stunden der Nacht.
Doch das Schrecklichste sollte noch kommen. Als sie Anfang Dezember 1944 den Einberufungsbefehl zur Wehrmacht als Luftwaffenhelferin erhielt, entschied sie sich stattdessen zum Dienst in einem DRK-Lazarett. Mitte Januar 1945 wurde für ihr Lazarett ein Verwundeten-Transport von ca. 400 Personen gemeldet. Die notwendige Betten-Kapazität war nicht vorhanden.

In der Not wurden von den DRK-Schwestern sofort Hunderte von Strohsäcken gestopft. Die Verwundeten wurden in den Gängen im Erdgeschoß hingesetzt oder auf den Boden gelegt.
Die letzten Kriegsmonate brachten eine Zunahme der Grausamkeiten mit sich, als die Front der Sowjet-Armee unaufhaltsam näher rückte. Die medizinische OP-Ausrüstung war nicht vorhanden. Die notwendige Material-Ausrüstung fehlte, es gab keinen Nachschub mehr. Im Lazarett kämpfte sie mit knappen Ressourcen und unvorstellbaren Verletzungen der Patienten. Wie alle DRK-Schwestern bekam auch sie Aufputschmittel, damit sie die schwere Arbeit tagelang ohne Schlaf durchhielt.

Die Evakuierung des Lazaretts im Februar 1945 und die erneute Auflösung im April desselben Jahres brachten neue Schrecken mit sich. Unter ständigem Beschuss musste sie verzweifelten Patienten beistehen, während die Vorräte rapide schwanden.
Doch nichts hätte sie auf die Hölle vorbereiten können, die sie im Keller des Johannesstifts in Spandau erlebte. Die Anweisung des Chefarztes, dass das Schwesternpersonal nicht gemeinsam in einer Ecke des Kellers schlafen sollte, offenbart die bedrückende Realität der Angst und Unsicherheit, die während des Einmarschs der russischen Soldaten herrschte.
Indem das Personal in kleinen Gruppen über den Keller verstreut wurde, hoffte der Chefarzt, dass die Soldaten die Frauen nicht alle auf einmal finden würden. Es war ein verzweifelter Versuch, sie vor den grausamen Übergriffen zu schützen, die sie befürchteten. Am Morgen des 23. April 1945 waren die Russen dann da.

Brigitta Much, DRK-Schwester 1944

Unter der Bedrohung durch russische Soldaten kämpfte Brigitta um das Überleben der Verletzten und um ihre eigene Unversehrtheit. Die Vergewaltigungen der DRK-Schwestern waren der grauenhafte Alltag, den die Schwestern ertragen mussten. Es herrschten unmenschliche Bedingungen, unter denen sie und die anderen im Keller des Lazaretts in Spandau während der Kriegszeit leben mussten. Es gab keinen Rückzugsort, keinen Ort der Intimität oder Sicherheit, den Frauen wird überall aufgelauert. Improvisierten Toiletten aus Blecheimern, die für alle zugänglich waren und keine Privatsphäre boten, kein Wasser, keine Waschgelegenheit zeugen von der Entwürdigung und Verzweiflung, die in solchen Zeiten herrschten.

Brosche, DRK Deutsches Rotes Kreuz "Helferin", 1933 - 1945

In ihren Memoiren schrieb sie:

Die Russen nahmen in der Kirche über dem Kellerraum auf dem Altar mehrmals täglich und oft gemeinsam an einer Frau ihr ‚Recht‘ wahr, das ihnen Stalin versprochen hatte. „Nach dem ‚glorreichen‘ Sieg über Nazi-Deutschland sind alle deutschen Frauen für drei Tage Freiwild für die russischen Soldaten!“ Aus drei Tagen wurden zwei Monate.

Die Geschichte von Brigitta Much ist ein bewegendes Zeugnis für die unermesslichen Gräuel des Krieges, einschließlich der unsäglichen Leiden und Entwürdigungen, denen Frauen während dieser Zeit ausgesetzt waren und leider immer noch sind. Als Frau, die zum Kriegsdienst herangezogen wurde, durchlebte sie die schlimmsten Seiten des Konflikts aus nächster Nähe.
Bombenangriffe, Hunger und Vergewaltigungen bestimmten den Alltag, während Terror und Krieg, einst entfesselt vom nationalsozialistischen Deutschland, nun auf die eigene Zivilbevölkerung zurückschlugen. Die sogenannte “Befreiung” durch die sowjetische Armee brachte für viele Deutsche ein neues Kapitel des Leidens, das oft im Verborgenen blieb.
Die Erinnerungen von Brigitta Much dienen als Vermächtnis, das niemals vergessen werden darf. Sie mahnen uns, dass Frieden und Mitmenschlichkeit immer über den Schrecken des Krieges triumphieren müssen. Doch trotz aller Bemühungen sind Vergewaltigungen als Kriegsmittel leider immer noch eine traurige Realität in vielen bewaffneten Konflikten weltweit.
Sexualisierte Gewalt wird oft als effiziente Waffe eingesetzt, um den Feind zu entwürdigen, die Bevölkerung zu terrorisieren und die sozialen Strukturen zu zerstören. Die Opfer sind überwiegend weiblich, aber auch Männer und Jungen können betroffen sein. Es liegt an uns allen, diese schrecklichen Verbrechen anzuerkennen, zu bekämpfen und sicherzustellen, dass diejenigen, die sie erleiden, Gerechtigkeit und Unterstützung erfahren.

Quellen (Auszug)

Ruhlsdorfer Kirchenbuch
Wendlandsche Chronik der Stadt Berlin aus der Zeit von 1648 bis 1701
Aufzeichnungen des Pfarrers Sannow im Kirchenbuch Teltow
Teltower Hypothekenbuch
Frank-Jürgen Seider „Märchen- und sagenhafte Geschichten rund um Teltow“, Hrsg. Heimatverein Stadt Teltow 1990 e.V., Buchkontor Teltow 2022
„100 Jahre Berliner Humor“, herausgegeben von Gustav Manz, Verlag Dr Eysler & Co, Berlin 1923
Ursula Rauschenbach: „Die Pickenbachs – Lebensgeschichten aus drei Jahrhunderten“, Verlag tredition, Berlin, 2020
Aufzeichnungen der Brigitta Much: Erlebnisse eines jungen Mädchens 1933 bis 1945

Schutzgebühr: 2,00 EUR; kostenloser Download